Auf ein erfolgreiches Start-Up kommen schätzungsweise neun, die es langfristig nicht schaffen, zu überleben oder nur knapp kostendeckend wirtschaften. Ähnlich wie beim Poker: Nur eine von zehn Personen schafft es, langfristig erfolgreich zu spielen und maximal zwei andere können sich knapp über Wasser halten, damit ihr Hobby nicht nur Geld kostet.
Das Institut für Ludologie hat sich nun dieser Frage gewidmet und beschreibt in seinem Artikel „All in?!- Was Start-Ups vom Pokern lernen können“ wie die Wissenschaft vom Spiel und seinen Elementen auf eine betriebswirtschaftliche Ebene gehoben werden kann. Der Text erschien im Rahmen des kürzlich publizierten Buchs "Spielräume", das sich mit den Facetten von GAMIFICATION in Unternehmen auseinandersetzt.
Pokerspieler wissen, wie anstrengend es ist, wenn Menschen annehmen, dass Pokern vor allem auf Glück und Zufall beruht. Denn Poker beruht neben der Komponente Glück und Mathematik auch auf Psychologie, Strategie, der richtigen Taktik und vor allem Geduld.
Die Spielregeln sind schnell erklärt und leicht zu erlernen. Das Lesen der Gegner und die eigene Selbstreflexion spielen hingegen eine entscheidende Rolle, und die Aneignung solcher Fähigkeiten benötigt Zeit. Und ein wenig Talent.
Dasselbe gilt laut dem Institut für Unternehmen: Denn erst wenn der Erfolgsbegriff über das Messbare hinaus erweitert werde, könne ein Bewusstsein für organisationale Selbstreflexion und Nachhaltigkeit geschaffen werden. In diesem Spiel gewännen flexible Organisationen, die die Notwendigkeit erkannt haben ihr operatives Verhalten stetigem Feedback des Marktes auszusetzen. Ebenso wichtig sei das Hinterfragen von organisationsinternem Wissen (Ressourcen, Fähigkeiten, Fertigkeiten). In Verbindung mit der Beobachtung seines Umfeldes, helfen ein kritischer Blick auf die Kulturebene und ein ganzheitlicher Blickwinkel.
In Kombination könne ein ungeahntes Mas an Anpassungsfähigkeit und Wendigkeit zu erreicht werden! Und nur wenn dies gegeben sei, könnten Unternehmen eine Offenheit für Veränderung und ein wachsames Auge für inneres und äusseres Ungleichgewicht entwickeln.
Auch wenn das wirtschaftliche Spielfeld und die Spielregeln sich verändern, können selbstreflektierende Unternehmen sich durch ihr organisationales Selbstverständnis beinahe mühelos an die neuen Spielbedingungen anpassen. Veränderungsimpulse liessen sich dabei auf operativer, taktischer uns strategischer Ebene identifizieren. Ähnlich wie in der Metaebene des Pokerspiels.
Statistisch gesehen, ist die langfristige Gewinnwahrscheinlichkeit beim Roulette höher als bei einem Start-ip. Doch woran liegt es, dass einem Glücksspiel höhere Chancen auf Erfolg eingeräumt werden kann, als einer Unternehmensgründung?
Der Spieler selbst ist die Hauptfigur im Einschätzen der Gesamtsituation.
Ein schlechter Spieler kann zwei Asse sehr schlecht spielen, doch ein guter Spieler wird das Maximum aus seinen Karten herausholen - und was noch viel wichtiger ist - er verliert bei negativer Gewinnwahrscheinlichkeit weniger Geld, als ein schlechter Spieler.
Im Klartext bedeutet das: Egal, ob Spielerin oder Unternehmen. Wer in der Lage ist, seine Handlungsoptionen jenseits des Offensichtlichen zu erschliessen, wird auch dazu in der Lage sein, selbstreflektierend zu agieren.
Die Beobachtungen, innerhalb des Artikels beziehen sich auf die Cash Game (oder Ring Game) Variante des Spiels «No Limit Texas Hold'em». Texas Hold'em Poker ist ein Spiel mit 52 Karten und meistens 9-10 Spielern am Tisch. Neben dem Zufall wird das Spiel vor allem durch Psychologie und Strategie beeinflusst und das Spiel unterliegt keinem klassischen Spielende. Spielerinnen können sich jederzeit in das laufende Spiel einkaufen oder es verlassen. Das Ziel ist, entweder alle anderen Mitspielenden zum Ausstieg zu bewegen, oder am Ende die beste Kartenkombination zu halten. Diese Spielsituation ist der Unternehmenssituation von Start-ups sehr ähnlich:
Die Spielregeln erster Ordnung beschreiben die expliziten Regeln des Spiels. Gute Pokerspieler spielen jedoch über diese expliziten Regeln hinaus. Denn sie wissen, dass das Verhalten und die Reaktionen der anderen Spieler sowie ihr eigenes Verhalten in einem übergeordneten Kontext für den Erfolg ausschlaggebend sind.
Dagegen fehlt unerfahrenen Spielern oftmals die Impulskontrolle, was dazu führt, dass sie verlieren, weil sie Situationen noch zu wenig gut einschätzen können. Ein Spieler, der viel gewonnen oder verloren hat, reagiert darauf unbewusst durch die Weise wie er seine nächste Hand ausspielt. Erfahrenen Spielern können sie jedoch nichts vor machen, denn diesen ist dieser Einflussfaktor durchaus bewusst. Sie können reflektieren und darauf eingehen.
Poker trainiert logisches Denken und die systematische Anaylse von Situationen
Auch in Start-ups ist dieses Bewusstsein von essentieller Bedeutung, denn auch hier spielt die Risikoabschätzung eine zentrale Rolle. Eine verhaltensorientierte Organisation lässt sich daher gut mit einem Amateur-Pokerspieler vergleichen: Er kennt die Regeln erst seit Kurzem und kann nur auf ein begrenztes Wissenskontingent zurückgreifen. Er ist (meist) gierig und hat ein emotionales Verhältnis zu seinen Karten (seinem Produkt oder seiner Dienstleistung). Deswegen möchte er diese einfach spielen und gibt damit die Kontrolle an die Regeln der Wahrscheinlichkeit und an seine Gegner ab.
Mit Produktideen ist es oft ähnlich: durch den festen Glauben an das Produkt mangelt es an objektiver Selbstreflexion.
Auch was um das Unternehmen (die Spielerin) herum geschieht wird oft übersehen und deshalb kann sie sich auch nicht adäquat dazu verhalten. Diese mangelnde Reflexion bei der Gründung ist oftmals auschlaggebend für das Scheitern.
Laut Institut müssen Unternehmen weg von der operativen Hektik und hin zu einem ganzheitlichen Bewusstsein, einer wissensorientierten Perspektive. Nur so kann ein Spieler ein Verständnisniveau erreichen, das ihm ermöglicht, komplexe Wirkungszusammenhänge und Ursachen zu verstehen.
In der Praxis bedeutet das, dass die Spielerin zur Beobachterin wird und die Handlungen aller Spieler ins Verhältnis zueinander setzt. So kann sie über die expliziten Spielregeln hinaus agieren. Das Hinterfragen der eigenen Handlungen und des eigenen Verhaltens erweitern ihren Handlungsspielraum und ermöglicht somit alternative Verhaltensweisen, mit denen sie ihre Wettbewerber ausstechen kann.
Als letzter Schritt folgt die bewertende Perspektive. Der Beobachter erlangt in dieser Metaebene ein Bewusstsein für die eigene organisationale Identität (Werte, Normen etc.) und gleicht diese permanent mit der externen «erfunden» Ordnung (den Spielregeln) ab. Auf diese Weise ist er in der Lage, unentwegt alternative Selbstkonzepte zu entwickeln, die mit dem Spielfeld (regulativen Rahmenbedingungen) und der eigenen Identität im Einklang sind.
Ein Profi-Pokerspieler erlangt über die Jahre ein kulturorientiertes Bewusstsein. So kann er seine Spielstrategie fliessend an das Verhalten seines Gegners anpassen. Er löst sich von fremd definierten Zielen und definiert eigene. Dem Kontrollverlust der eigenen Situation durch Regularien kann er mit dem Ändern seiner Spielziele oder einem rechtzeitigen Ausstieg entgegenwirken. Das ist jedoch nur möglich, wenn ein Spieler sich selbst hinterfragt und es schafft, eine Vogelperspektive einzunehmen.
Die drei Verständnisebenen der ludologischen Perspektive bieten einen Ansatz für den Umgang mit Komplexität, der Bewertung von Situationen und der Selbstreflexion. Für ein nachhaltiges Wachstum ist die organisationale Selbstreflexion also entscheidend. Denn nur so kann ein Unternehmen seine operative, taktische und strategische Anpassungsfähigkeit wahren, ohne sich selbst aufzugeben.
Wer noch mehr zum Thema Gamification wissen möchte, findet im Buch «Spielräume» einen perfekten Einblick. Zum Beispiel wie Spiele zur Kulturtransformation in Unternehmen beitragen oder wie die Mitarbeiter-Motivation durch Gamification gestärkt werden kann.
Besten Dank an Diara von spielen (punkt DE) für die Inspiration zu diesem Beitrag.
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